Interview mit dem Papageien- und Sittichjournal

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Gezwitscher auf Instagram – Interview mit einer Forpus-Halterin

von Marit Wolff-Timm @marit_wellis.und.mehr mit Melanie Henschel @forpus_fakten

Dieser Artikel erschien im Papageien- und Sittichjournal (Ausgabe 2/2024, Juli 2024)

Melanie, vor knapp zwei Jahren sind bei dir die Sperlingspapageien „Milo“ und „Sunny“ eingezogen. Wie kamst du auf die „frechen Südamerikaner“ – wie du sie selbst bezeichnest?

Das war tatsächlich eher Zufall. Ich habe angefangen nach passenden Papageien für mich zu recherchieren und mich dabei auf kleine Papageien beschränkt, da ich sicherstellen wollte, dass ich auf dem begrenzten Platz einer Stadtwohnung trotzdem ein artgerechtes Zuhause bieten kann. Zuerst habe ich mich für Agaporniden interessiert, hatte aber Sorge, dass diese für eine Mietwohnung zu laut sein könnten. Und bei der Recherche zur Lautstärke bin ich dann das erste Mal auf Sperlingspapageien gestoßen und habe mich sofort verliebt. Also auf Sperlis gekommen bin ich durch die geringe Lautstärke und geblieben bin ich wegen ihres unwiderstehlichen Charmes.

Das Bild zeigt die Websitebetreiberin mit ihren beiden Blaugenick-Sperlingspapageien auf der Hand.

Das klingt perfekt für die Haltung im Mehrfamilienhaus! Vorher hattest du ja bereits beruflich mit Papageien zu tun. Wie kam das und was war deine Aufgabe?

Ich habe Psychologie studiert, habe mich dabei aber schon sehr früh auf Tiere spezialisiert, d.h. ich habe mich mit Verhalten, Wahrnehmung, Emotionen und vor allem Kognition, also der Verarbeitung von Informationen im Gehirn, von Tieren befasst. Im Laufe meines Studiums habe ich mit einer Vielzahl verschiedener Arten gearbeitet und 2017 in einem Praktikum an der Veterinärmedizinischen Universität Wien das erste Mal mit Papageien, den neuseeländischen Keas. Dabei habe ich ein halbes Jahr lang Spiel- und Sozialverhalten dieser besonderen Vögel untersucht und konnte sehr viel theoretisch und praktisch über Papageien lernen. Natürlich musste ich mich für die Durchführung der Studie viel mit der einschlägigen Literatur befassen, aber ich hatte auch täglich Kontakt mit den Vögeln. Das Beobachten der Tiere, das Sammeln von Verhaltensdaten außerhalb der Experimente und die Hilfe bei der täglichen Versorgung waren Teil meiner Aufgaben. Nach meinem Abschluss wollte ich dann weiter mit Vögeln forschen und habe ebenfalls in Wien eine Doktorandenstelle zur Erforschung von Spiel und Innovation bei Singvögeln und Papageien bekommen. Leider musste ich diese Position aus gesundheitlichen Gründen abbrechen. Aber so habe ich durch meinen Beruf viel Vorwissen für die Haltung eigener Papageien bekommen, was mir vieles erleichtert.

Zwei Sperlingspapageien sitzen im engen Körperkontakt zueinander in einem Holzring.
Da passt kein Blatt mehr dazwischen! Die Paarbindung bei Sperlingspapageien ist sehr eng, so wie bei diesen Blaugenick-Sperlingspapageien der Autorin.

Das klingt nach einer spannenden und für Papageienliebhaber sicherlich traumhaften Arbeit! Konntest du Parallelen zwischen Keas und Sperlingspapageien entdecken? Spielen deine Vögel z.B. genauso gerne mit unterschiedlichsten Materialien und sind ebenso neugierig wie Keas? Oder womit beschäftigen sie sich besonders gerne?

Parallelen zwischen Sperlis und Keas gibt es ganz viele, weil beide Papageien sind und die ganze grundlegende Biologie natürlich gleich ist. Aber es gibt auch große Unterschiede, die mich zum Teil sehr überrascht haben. Allem voran sind Keas einfach die neugierigsten Papageien, die es gibt. Keine andere Art fühlt sich von Neuem so magisch angezogen und hat dabei so wenig Scheu. Ich habe vor dem Einzug meiner beiden Sperlis alles extrem vogelsicher gemacht, weil ich von den Keas gewohnt war, dass sie durch jeden kleinen Türschlitz schlüpfen und alles Neue sofort anknabbern. Da war ich dann sehr überrascht, wie scheu und ängstlich meine zwei waren. Und durch Türen wird bis heute nicht mal geschlüpft, wenn sie sperrangelweit offenstehen.

Dabei sollte man wissen, dass Neugier und die Angst vor Neuem keine zwei Enden desselben Spektrums sind, sondern unabhängig voneinander bestehen. Papageien sind allesamt sehr neugierig (im Fachjargon Neophilie genannt), aber sie unterscheiden sich in ihrer Angst vor Neuem (Neophobie). Beides hat verschiedene evolutionäre Wurzeln und Vorteile. Zum Beispiel haben sowohl Keas als auch Sperlingspapageien einen breit gefächerten Speiseplan – dabei ist Neugier hilfreich, um neue Nahrungsquellen zu erschließen. Eine Scheu vor Neuem hilft dagegen z.B. bei gefährlichen Situationen. Keas hatten in ihrer Evolutionsgeschichte kaum natürliche Feinde, Sperlingspapageien dagegen sehr viele und sind entsprechend scheuer. Wenn man seine Sperlis aber regelmäßig mit Neuem konfrontiert, tauen sie mit der Zeit immer mehr auf und zeigen mehr Neugier. Meine beiden wissen z.B. dass neues Spielzeug Gutes mit sich bringt und stürzen sich meistens sofort darauf. Richtiges, eindeutiges Spielverhalten beobachte ich bei meinen Sperlis aber selten. Dazu muss ich sagen, dass echtes Spiel sehr schwer von nicht-verspieltem Erkunden zu unterscheiden ist. Eindeutiges Spielverhalten, wie z.B. das auf den Rücken legen beim Manipulieren von Objekten oder das wiederholte Werfen von Objekten habe ich bei meinen beiden noch nicht beobachten können. Während meiner Arbeit mit den Keas ist mir das dagegen häufiger aufgefallen, aber Keas sind auch dafür bekannt, besonders verspielt zu sein und sogar im Erwachsenenalter zu bleiben.

Meine zwei beschäftigen sich gern mit Nagen oder Schreddern, mit Wühlkisten und den üblichen Beschäftigungen für Papageien. Sie lieben auch beide Futterverstecke – diese führen jedoch bei uns leider zu Streit und Übergewicht bei Sunny. Eine bessere Futterbeschäftigung für die zwei ist das Training. Das lieben sie und fordern es auch ein. Derzeit mögen sie das Rückruftraining am liebsten, also auf Zuruf auf meine Hand zu fliegen.

Ein handzahmes Paar Papageien, das ist der Traum vieler Papageienhalter. Die temperamentvollen Sperlingspapageien lassen sich schnell zu Trainingsexperimenten aller Art überreden: Flugtraining, Free-Choice-Training oder Retrieve gestalten das Leben spannend.

Das Training mit Sittichen und Papageien interessiert mich auch sehr – unseren Wellensittichen habe ich dadurch schon einiges beigebracht: vom Farben- über Targetstick- bis zum Retrievetraining. Und du hast ja auch einige Trainingsvideos auf Instagram gepostet, zuletzt das Transportbox-Training. Was steht noch auf deinem Trainingsprogramm?

Passender wäre: was steht nicht auf meinem Trainingsplan? Am wichtigsten ist mir auf jeden Fall das Transportbox-Training, damit ich die beiden nicht mehr einfangen muss. Dafür müssen wir noch ein bisschen üben. Und ich würde auf jeden Fall gern etwas im Bereich Free-Choice-Training machen, d.h. ich bringe ihnen gewisse Grundlagen bei, mit denen die Tiere mir dann ihre freie Auswahl mitteilen können. So habe ich einen Sonnenspot mit intensiverer UV- und Wärme-Bestrahlung. Manchmal sonnen sie sich dort richtig, manchmal gehen sie dem aus dem Weg. Ich würde sie gern selbst entscheiden lassen, wann sie den Sonnenspot angeschaltet haben möchten. Dafür könnte ich z.B. eine Klingel konditionieren, mit der sie mir mitteilen können, dass sie die Sonne wollen. Das ist auch dahingehend super, weil ich bestimmen kann, wann die Klingel zur Verfügung steht – also z.B. nur, wenn jemand zu Hause ist. Durch das Free-Choice-Training können sie später auch selbst bestimmen, welches Obst und Gemüse es geben soll, welches Leckerli sie für’s Training möchten oder ob sie Zeit auf dem Balkon verbringen möchten. Außerdem möchte ich daran arbeiten, dass ich ihre Gesundheit stressfrei kontrollieren kann, indem sie z.B. auf Signal die Flügel oder den Schnabel öffnen. Das Flugtraining möchte ich ausbauen, sodass sie größere Strecken oder Runden fliegen und mehr Bewegung bekommen. Und ich möchte auch gern durch Training die Grundlage legen, dass ich sie am Kopf kraulen kann. Wenn ich konditioniere, dass sie sich anfassen lassen, hoffe ich, dass sie anfangen, die Berührung zu genießen. Damit hätte ich dann noch einen weiteren, sehr flexiblen Verstärker außer Futter und könnte letztendlich sogar trainieren, dass sie sich ihre Belohnung selbst aussuchen können. Dem Ganzen sind im Grunde keine Grenzen gesetzt und ich möchte ihr Leben lang immer wieder Neues trainieren. Nicht zuletzt werde ja auch ich durch das Training eine bessere Trainerin und kann mir zunehmend Schwierigeres vornehmen. Deshalb trainiere ich mit ihnen auch einige „sinnlose“ Sachen, wie drehen oder eine Rolle machen, weil sowohl die Vögel als auch ich dabei  Trainingserfahrung sammeln. Aber das wichtigste Ziel beim Training ist für mich, dass die Tiere ihr Leben bei mir möglichst stressarm und stimulierend genießen.

Flugtraining mit diesen Winzlingen? Aber sicher doch: Sperlingspapageien gelten als außergewöhnlich clever, sind neugierig und aufgeschlossen für neue Dinge. Der Fantasie der Trainerin sind hier keine Grenzen gesetzt.

Da hast Du Dir wirklich große Ziele gesteckt! Das Free-Choice-Training ist auf jeden Fall eine tolle Möglichkeit, besser auf die Wünsche der Papageien einzugehen. Ich habe es mit unseren Wellensittichen vor längerer Zeit auch ausprobiert, letztendlich hat mir aber leider die Geduld gefehlt, die man – zumindest bei unseren Wellis – dafür gebraucht hätte… Ich bin gespannt, wie es bei deinen Sperlis funktioniert!
Dass jedes Training die Vögel fordert, auslastet und eine engere Beziehung zum Halter herstellt, ist in jedem Fall ein zusätzlicher, positiver Effekt. Dies ist sicher auch hilfreich, um die doch zeitweise ruppige Art, die besonders den Blaugenick-Sperlingspapageien nachgesagt wird, im Griff zu halten.
Wie viele Arten von Sperlingspapageien gibt es und welche Erfahrungen hast du mit der häufig beschriebenen Aggressivität gemacht?

Meine Trainingsziele umzusetzen wird auf jeden Fall ein längerer Prozess, aber ich habe ja hoffentlich noch 10 bis 15 Jahre Zeit. Die ruppige Art bzw. hohe Aggressivität und Territorialität von Sperlis zeigen sich in aller Regel anderen Vögeln und nicht dem Menschen gegenüber. Wenn Halter vorher z.B. Wellensittiche hatten, sind sie oft sehr erschrocken, dass ihr Paar so viel zankt. Gerade die am häufigsten gehaltene Art, die Blaugenick-Sperlingspapageien, streiten sich in der Regel täglich lautstark mit deutlich aggressiven Verhaltensweisen, nur um Sekunden später zu schnäbeln und einander zu putzen. Das ist zwar amüsant, aber nicht zu unterschätzen und macht Schwarmhaltung und Vergesellschaftung heikler als bei vielen anderen kleinen Papageien. Selbst gegenüber deutlich größeren Arten, wie Nymphensittichen, haben Sperlis die Oberhand. Deshalb haben sie den Spitznamen „Taschenpapagei“, weil sie das Ego eines Großpapageien in einem Körper im Taschenformat haben. Gattungsspezifischer Napoleonkomplex sozusagen.

Von den neun Arten (laut aktuellem Forschungsstand) der Gattung Forpus gehören die Blaugenick-Sperlingspapageien (Forpus coelestis) zu den aggressivsten Gattungsvertretern, Augenring- (F. conspicillatus) oder Grünbürzel-Sperlingspapageien (F. passerinus) sind z.B. friedlicher. Aber auch innerhalb der Arten gibt es aggressivere und harmonischere oder friedlichere Gesellen. Meine beiden sind da schon auf der anspruchsvolleren Seite.

Beim Fressen gibt es auch unter Sperlingspapageien gerne mal Streitereien

Dabei hilft Training nur bedingt, es ist aber insofern nützlich, dass man Training so unglaublich individualisieren kann. Z.B. konnte ich aufgrund Sunnys dominanter Art Milo schwer wiegen, weil sie Futter zum Locken eben immer für sich beansprucht hat. Seitdem ich aber trainiert habe, dass beide auf die Hand kommen und sich auf die Waage setzen lassen, ist das Wiegen nun ein Kinderspiel. Ein anderes gutes Beispiel ist das Transportbox-Training. Du hast ja Videos auf Instagram geteilt, in denen du deine Wellis mit Futter in die Box locken und dann die Tür schließen konntest. Mit meinen beiden geht das nicht, da Sunny dabei das Futter wieder für sich beansprucht und Milo verscheucht. Ich kann es aber genauso trainieren wie mit der Waage, einen nach dem anderen per Hand hineinsetzen. Das dauert länger und ist aufwändiger, aber genauso effektiv.

Nach dem Training kommt die kulinarische Belohnung. Sperlingspapageien lieben Frischkost aller Art. Sesonders hoch im Kurs stehen Beeren. Diese kann man direkt vom Ast anbieten, aber auch im Rahmen des Trainings in Foraging-Spielzeugen verstecken.

Dass Sunny Milo häufig verscheucht, war ja auch schon ein Problem bei deiner täglichen Fütterung – Sunny wog immer mehr, Milo dagegen immer weniger. Wie du auf deiner Homepage forpusfakten.eu beschreibst, hast du vieles ausprobiert, um dies zu bessern und letztendlich auch eine gute Lösung für euch gefunden. Wie sieht die aus und wie war der Weg dorthin?

Ja, das war und ist ein großes Thema, bei dem ich auch viel umdenken musste. Ich bin eine große Verfechterin von Foraging Enrichment, also eine Futterdarbietung, bei der sich die Tiere das Futter, ähnlich wie in freier Natur, erarbeiten müssen. Für meine zwei Individuen hat das mit der Zeit für große Probleme gesorgt, weil Sunny mit Erreichen der sozialen Reife zunehmend dominanter wurde. Dadurch hat sie zum einen fast alles an Futterbeschäftigung alleine gefressen, wodurch sie zunahm und Milo abnahm. Zum anderen hat sie sich Milo gegenüber immer aggressiver verhalten, weil ja theoretisch überall Futter lauern konnte. Den größten Erfolg hatte ich nachhaltig durch starkes Reduzieren von Foraging Enrichment. Das finde ich sehr schade, aber ich merke sehr deutlich, wie die Aggression sofort wieder zunimmt, sobald ich Futterverstecke anbiete. Daher gibt es das jetzt nur noch selten, lediglich Wühlkisten funktionieren ganz gut und einzelne versteckte Körner. Die sind dann so schnell verputzt, dass es gar nicht zu Streit kommen kann. Allgemein hat sich aber auch die Umstellung auf Pellets positiv auf das Verhalten der beiden ausgewirkt. Mit Pellets kann ich viel besser sicherstellen, dass beide Vögel mit allem versorgt sind, was sie brauchen. Zusätzlich gibt es natürlich Frischfutter, um das es aber nie wirklich Streit gab. Ich beobachte, dass Sunny tatsächlich wieder aggressiver wird, wenn es mehr Körner gibt (selbst aus den Näpfen). Ich denke, das liegt daran, dass sie extrem motivierend und begehrt sind. Kinder streiten sich ja auch um Süßigkeiten, aber nicht um Gemüse. Im Training verwende ich weiterhin Körner, aber da kann ich steuernd eingreifen, falls Sunny zu dominant wird. Das klappt mittlerweile richtig gut und die Gewichte der beiden haben sich schon angeglichen.

Generell hat mich die Studienlage zu Pellets im Vergleich zu Körnern sehr überrascht und ich erwarte durch die Umstellung viele positive Effekte auf die Gesundheit meiner Vögel, die sich dann auch auf das Verhalten auswirken. Z.B. können Mängel durch körnerbasierte Fütterung die Haut- und Gefiedergesundheit stören (dies kann ich bei meinen Vögeln sehen), wodurch sich die Vögel natürlich weniger wohl fühlen, was wiederum zu Frust und erhöhter Aggressivität führen kann. Sunny hatte z.B. trotz idealer Sitzstangen Fußschwielen entwickelt, die mittlerweile schon fast weg sind. Wenn einem die Füße wehtun, kann es natürlich sein, dass man schlecht schläft, nicht zur Ruhe kommt und unleidlich wird – das kennen wir von uns selbst.

Mit all den beschriebenen Optimierungen ist die Aggressivität jetzt deutlich besser, die beiden erscheinen mir ausgeglichener und zufriedener. Sunny ist und bleibt die dominante und sie ist auch einfach eine „sehr kesse Henne“ und Milo ist sehr scheu. Ich muss eben lernen, mit diesen Charakteren umzugehen und das Optimum für sie zu finden. Und das ist ein Prozess, der ein Papageienleben lang weitergeht.

Zu den wichtigsten Trainingseinheiten gehört das Training, freiwillig in den Transportkäfig zu klettern.

Das stimmt – jeder Vogel hat einen eigenen Charakter mit zum Teil speziellen Verhaltensweisen, die sich in anderer Schwarmkonstellation auch wieder ändern können. Das habe ich zum Beispiel bei unserem Wellensittich „Curry“ erlebt, der sich vom dominanten Draufgänger zu dem, der als letzter an den Futternapf darf, wandelte, als nach dem Tod eines Schwarmmitglieds ein neuer Vogel einzog.
Mit dem Thema Verhalten hast du dich ja auch viel beschäftigt und beschreibst dies in Bezug auf Sperlingspapageien ausführlich auf deiner Website.
Was ist Dir dabei besonders wichtig zu vermitteln? Und gibt es Verhaltensweisen, die Halter besonders häufig falsch interpretieren bzw. nicht verstehen?

Zum einen bin ich natürlich als gelernte Psychologin unter anderem auf Verhalten spezialisiert und kann viel zu diesem Thema vermitteln. Aber das Thema ist mir auch besonders wichtig, weil wir  unsere Haustiere nicht richtig behandeln können, wenn wir ihr Verhalten nicht verstehen. Dann sind Probleme unausweichlich.

Wenn ich z.B. nicht lesen kann, wann mein Vogel ängstlich oder aggressiv ist, kommt der Biss „aus heiterem Himmel“, obwohl es eigentlich die letzte Verteidigungsmöglichkeit des Vogels war. Papageien mit „Aggressionsproblemen“ sind zum Beispiel oft missverstanden. Bei kleinen Papageien wie Sperlingspapageien besteht dagegen häufig das Problem, dass ihr Verhalten verniedlicht wird. So sieht etwa das typische Verhalten, das Sperlingspapageien beim Hochwürgen von Nahrungsbrei aus dem Kropf zeigen, sehr witzig aus, weil sie ihren Kopf dabei hin und her schütteln. Als Halter sollten wir dieses Verhalten aber nicht verstärken, denn wenn es übermäßig gezeigt wird, kann es zum Beispiel zu Kropfentzündungen führen. Außerdem kann es, wenn es dem Menschen gegenüber gezeigt wird, ein Anzeichen für sexuelle Fehlprägung sein.

Eine große Gefahr besteht auch darin, dass Krankheiten nicht als solche erkannt werden, wenn entsprechendes Verhalten nicht bekannt ist oder fehlinterpretiert wird. Ist der Vogel ständig aufgeplustert, ist das nicht süß, sondern besorgniserregend. Auch Verhaltensstereotypien werden oft als lustig angesehen. So nennt man es, wenn ein Verhalten immer wieder wiederholt und zwanghaft gezeigt wird. Bei Papageien kann das ein hin und her schwanken von einem Fuß auf den anderen sein oder immer wieder eine Rolle auf dem Sitzast zu machen. So etwas entsteht meist durch Platzmangel oder fehlende Beschäftigung. Mein persönlicher Eindruck ist, dass kleine Vögel letztendlich viel häufiger „plötzlich“ vorzeitig versterben als große und ich denke, dass dies viel auf fehlendes Wissen bezüglich des Verhaltens zurückzuführen ist.
Ein weiterer Punkt ist das Training. Das ist schlichtweg nicht möglich oder extrem behindert, wenn man die Körpersprache seines Tieres nicht lesen kann. Ich kann nicht erkennen, wenn ich einen zu großen Schritt wage oder wann das Training dem Tier Spaß macht.
Daher ist es meiner Meinung nach die absolute Pflicht eines jeden Tierhalters, dessen Verhalten und Körpersprache zu kennen. Nur dann kann man überhaupt eine artgerechte Haltung und einen Umgang im Sinne des Tierwohls sicherstellen und Probleme rechtzeitig erkennen. Mir ist die Aufklärung zu diesem Thema auch so wichtig, weil verlässliche Informationen dazu gar nicht so leicht zu finden sind. Ich habe in meine Artikel viel Recherchearbeit gesteckt und dabei auch viel Fachliteratur zurate gezogen, welche für Laien kaum zugänglich ist.

Ein Sperlingspapagei hängt an einem Futterversteck aus kleinen, körnergefüllten Pappboxen.
Schreddern als Leidenschaft! Sperlingspapageien lieben es, wie die meisten Papageien, weiche Materialien wie Holz, Papier und Karton zu zerkleinern.

Super, dass andere Halter von dieser Recherchearbeit durch deine Website auch profitieren können!
Und was würdest du abschließend neuen Haltern raten, die sich noch unsicher sind, ob sie sich Sperlingspapageien anschaffen sollen? Worauf sollten sie im Vorfeld achten?

Zuallererst weise ich darauf hin, dass Papageien generell keine einfachen Haustiere sind. Fast alle Papageien sind nicht-domestizierte Wildtiere, sogenannte „Exoten“[1]. Daher birgt das Leben in menschlicher Umgebung für sie höhere Risiken für psychische und körperliche Erkrankungen. Zudem sind sie sehr intelligent und sensibel und prinzipiell nur für wenige Menschen geeignet, denn das, was die meisten sich von einem Haustier wünschen, bekommen sie von Papageien nicht  – von keiner Spezies. Papageien sind keine Schmusetiere. Social Media vermittelt da leider oft ein falsches Bild. Trotzdem brauchen Papageien sehr viel Aufmerksamkeit und Engagement, damit sie sich nicht langweilen. Für viele Menschen kann das schnell frustrierend werden, wenn sie trotz viel Arbeit scheue Vögel haben. Außerdem machen sie viel Dreck (auch die winzigen Sperlis), brauchen viel Platz, sind relativ laut (auch wenn Sperlis da am unteren Ende rangieren) und werden relativ alt (auch Sperlis können bis zu 20 Jahre alt werden). Viele Menschen denken, dass kleine Vögel einfache Haustiere sind, was weit von der Realität entfernt ist. Ein Sperli ist nicht viel weniger aufwändig zu halten als ein Ara. Man sollte sich also zuallererst gründlichst überlegen und intensiv informieren, ob Papageien allgemein das Richtige für einen sind. Ich selbst habe sieben Monate lang intensiv recherchiert und mich vorbereitet, bevor meine beiden einzogen. Sich ständig weiterzubilden bleibt zudem eine Pflicht so lange die Vögel leben!

Wenn man sich dann letztendlich für Sperlingspapageien entschieden hat, sollte man sich mit den verschiedenen Arten und deren Unterschieden befassen. Blaugenick-Sperlingspapageien sind am einfachsten zu bekommen, aber wie bereits erwähnt, charakterlich nicht ganz einfach.

Bei der Suche von Abgabetieren oder Züchtern sollte man sich Zeit lassen. Es gibt leider viele schwarze Schafe, gerade bei den kleinen, leicht zu vermehrenden Arten. Ich kenne von Tierheimen, Privatabgaben und Züchtern jeweils gute und schlechte Berichte – man muss also immer sehr achtsam sein.

Ein schmusendes Blaugenick-Sperlingspapageienpärchen
Blaugenick-Sperlingspapageien sind klein und relativ leicht zu bekommen. Das soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Pflege dieser Papageienart anspruchsvoll und herausfordernd ist.

Und Vorsicht ist auch bei der Wahl des Farbschlags geboten. Es gab in der Vergangenheit immer wieder Fälle, bei denen Farbmutationen mit gesundheitlichen Problemen einhergingen. Bei den aktuell schnellen neuen Züchtungen rate ich zur Vorsicht und dazu, im Zweifelsfall die klassischen Grünen zu bevorzugen.

Ganz wichtig finde ich, vor Erwerb einen Tierarzt zu suchen, der sich mit der Behandlung von Papageien auskennt, und dort am besten gleich am ersten Tag eine Eingangsuntersuchung machen zu lassen. Sperlis sind zwar bei der Anschaffung und Fütterung relativ billig, brauchen aber trotzdem eine regelmäßige tierärztliche Versorgung, die schnell sehr teuer werden kann. Eine Akutbehandlung kostet in der Regel mehrere hundert Euro. Wenn man nicht bereit oder in der Lage ist, das zu bezahlen, sollte man sich diese Tiere nicht anschaffen.

Die Urlaubsbetreuung ist ein weiteres Thema, das man sehr gut planen muss. Denn Papageien sind schwerer im Urlaub zu versorgen als zum Beispiel Katzen oder Nager. Man kann sie schlecht einfach woanders hingeben und eine Versorgung zu Hause, welche Freiflug ermöglicht, ist sehr zeitaufwändig.

Zum Schluss möchte ich Bewusstsein schaffen, dass jedes Heimtier von Training profitiert, aber Wildtiere wahrscheinlich noch mehr als domestizierte Tiere. Viele Dinge wie Beschäftigung, die gesundheitliche Versorgung, der Transport oder die Urlaubsbetreuung, lassen sich mithilfe von Training ungemein erleichtern. Training ist eine derartige Bereicherung im Sinne des Tierwohls, dass ich es im Grunde sogar als Pflichtprogramm im Rahmen einer tiergerechten Haltung sehe. Es bedeutet aber einen erheblichen Aufwand, dessen man sich bewusst sein muss. 
Also abschließend noch einmal zusammengefasst: Sperlingspapageien sind klein und relativ leise. Aber sie sind nicht einfach, keine Schmusetiere und sie sind auch nicht kostengünstig.

Stattdessen sind sie quirlig, kess, neugierig, manchmal ängstlich, intelligent und fordernd. Wer sich dieser kleinen gefiederten Herausforderung stellen kann, der wird vor Freude und Liebe überquellen.

Was für ein schönes und wahres Schlusswort!
Vielen lieben Dank für die vielen interessanten Infos, den Einblick in deine Haltung und weiter ganz viel Freude mit Milo und Sunny!

(Interview von Marit Wolff-Timm, Stuttgart)

[1] Hier wurde als editorial decision meinem Originalzitat das „fast“ am Satzanfang angefügt. Beide Sichtweisen zur Domestikation von Papageien sind richtig. Domestikation ist ein Prozess, der beginnt, wenn Tiere vom Menschen gezüchtet und verändert werden, daher gibt es kein schwarz und weiß, sondern nur mehr oder weniger domestiziert. Dieser Prozess ist vor allem bei den typischerweise als „domestiziert“ bezeichneten Arten wie Wellensittichen, Nymphensittichen und Agaporniden schon weiter fortgeschritten als z.B. bei Sperlingspapageien. Im Vergleich zu allen HAUStieren wie Hühner, Kühe, Schweine, Pferde und vor allem Hunde, ist dies jedoch beinahe vernachlässigbar, denn diese Tiere sind so verändert, dass sie eigene Arten darstellen, weil der Domestikationsprozess bereits seit Jahrtausenden läuft, beim Hund sogar 30.000 -40.000 Jahre! Der Wellensittich, als erster domestizierter Papagei, wurde dagegen erst Mitte des 19. Jahrhunderts begonnen zu züchten. Hier reden wir also von nicht einmal 200 Jahren. Daher bezeichne ich persönlich alle Papageien als Wildtiere bzw. Exoten.

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